TORMENTILL – die verborgene Heilkraft der BLUTWURZ

Von der Magie zur Wissenschaft„, so lautet der Arbeitstitel meines Projektes hier auf meinem Heilpflanzen-Blog. Vom Blog zum Buch, so der langfristige Plan. Denn besonders gerne widme ich mich Pflanzen, die eher unbekannt und oder unscheinbar sind. Zarte Schönheiten am Wegesrand, oder besser am Waldesrand. Denn in der Nähe eines Waldes, eines großen sogar – dem Schwarzwald – da wohnen wir. Vor der Haustüre und auf Spaziergängen da finde ich sie, die zauberhaften Kräuter. In Ecken, zwischen Pflasterritzen verborgen, zwischen Sträuchern, am Waldboden und oft mit nur kleinen unscheinbaren Blüten ausgestattet, wachsen sie am Rand eines Waldwegs. Und wenn man sie genauer erforscht, haben viele davon heilende Wirkung. Magische Pflanzen, Hexenkräuter aus mittelalterlichen Zeiten. In frühneuzeitlichen Kräuterbüchern aus dem 16. Jahrhundert schon als Heilpflanzen erfasst und auf Tafeln gezeichnet. Von der Magie zur Wissenschaft – ein interessantes Forschungsgebiet, denn viele Inhaltsstoffe der „magischen“ Kräuter haben sich in neueren wissenschaftlichen Studien als wirksam erwiesen. Und doch sind noch viel zu wenige von ihnen erforscht.

Doch einige dieser Pflanzen haben ihren Weg in die heutige Medizin gefunden, in die Pflanzenheilkunde, in die evidenzbasierte Phytotherapie. Nicht nur als Heilpflanzen, sondern auch als Vorbilder für Wirkstoffe, die seit dem 19. Jahrhundert auch chemisch nachgebaut wurden. Bestes Beispiel dafür ist das ursprünglich aus dem Mädesüß und später aus Weidenrinde gewonnene Salicin, der Wirkstoff des Aspirins. Schon in der Antike war bekannt, dass Mädesüß oder Weidenrinde bei Fieber und Schmerzen hilft. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist auch der Ginkgo Baum, dessen Inhaltsstoffe in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) seit Jahrtausenden geschätzt waren und dessen Wirksamkeit heute sogar bei Demenz überprüft wird. Ein großes Mittel ist auch das Taxol aus der Gruppe der Taxane, das aus der Rinde einer nordamerikanischen Eibenart gewonnen wird. Unter dem Namen ‚Paclitaxel‘ wird es in der Chemotherapie bei Brustkrebs eingesetzt. Neben diesen, gibt es noch viele viele weitere Beispiele, über die ich noch schreiben werde.

Doch heute zunächst:

Die Blutwurz, der Tormentill – Arzneipflanze des Jahres 2024

Auch ein Beispiel für eine Heilpflanze mit magischer Vergangenheit, deren Wirksamkeit heute wissenschaftlich gut erforscht ist! Eine Zauberpflanze mit kleinen gelben radiärsymetrischen Blüten, oben unscheinbar kleine Teppiche bildend – und unten mit einer kräfigen Wurzel ausgestattet! Aus ihr tritt beim Anschneiden blutroter Saft aus, daher hat sie ihren Namen: BLUTWURZ

Sie soll sogar gegen Gifte und die Pestilenz geholfen haben, wie folgender Spruch bezeugt: „Esst Tormentill und Bibernell, so sterbt nüt so schnell“. Hieronymus Bock lobte sie in seinem Kreutterbuch 1565 als das beste Mittel bei „roten und weißen Bauchflüssen“, Ruhr und Cholera. Interessant, denn heute wissenschaftlich untersucht und anerkannt ist die innerliche Anwendung bei akutem Durchfall sowie äußerlich bei Schleimhautentzündungen, dazu später mehr.

Die starke Blutwurz, auch Tormentill genannt (lat. von tormentum = Kolik, Qual) wurde sogar zur Arzneipflanze des Jahres 2024 gekürt! Erstmals wurde damit eine gerbstoffhaltige Pflanze ausgewählt! Ihr Gerbstoffgehalt ist enorm, bis zu 25% in ihrem Rhizom. Manch einer, vor allem in Bayern, kennt sie auch in Form von Blutwurz-Schnaps. Ein Allheilmittel bei Magen-Darm-Beschwerden aller Art.

Potentilla erecta wird sie botanisch genannt: „erecta“ die Aufrechte.  Und ihr Name „Potentilla“ weist auf die Fünffingersträucher hin. Fünf Finger, eine ganze Hand. Auch dies ein magisches Zeichen.

Geht man näher an sie heran, erkennt man an ihren kleinen radiärsymetrischen Blüten, die Verwandtschaft zu den Rosengewächsen, zu der, neben den Rosen auch viele unserer Obstbäume gehören. Eine nahe Verwandte der Blutwurz ist das Gänsefingerkraut, auch dieses eine Heilpflanze.

Gerbstoffe erhielten ihren Namen durch die Wirkung, die sie auf tierische Häute haben: Sie fällen die darin enthaltenen Eiweiße bzw. bilden mit ihnen unlösliche Verbindungen. Dieser Vorgang wird als Gerben bezeichnet. Zur Lederherstellung werden Gerbstoffe heute nicht mehr verwendet.

Der Tormentill ist eine vielseitige Heil- und Färberpflanze mit einer langen Tradition in der Pflanzenheilkunde und vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, besonders bei Verdauungsbeschwerden und entzündlichen Erkrankungen.

Nutzung als Färberpflanze

Der rote Farbstoff, der beim Anschneiden des Rhizoms austritt, besteht aus kondensierten Gerbstoffen wie Catechin-Gerbstoffen, Ellagsäure und Chinovasäure. Mit Alaun und Weinstein vorgebeizte Wolle kann mit dem Absud des Rhizoms gelbbraun gefärbt werden, während eine Beize aus Kupfersulfat und Kaliumdichromat eine rotbraune Färbung erzeugt. Früher wurden Rentierfelle gleichzeitig gegerbt und gefärbt.

Stichworte: Gerbstoffe, Ledergerbung, adstringierend, zusammenziehend, heilend bei Entzündungen und kleinen Wunden. Durchfallerkrankungen.

Pflanzenportrait: Blutwurz, Tormentill (Potentilla erecta)

Historisches

Die Leipziger Drogenkunde vergleicht die Blutwurz, die hier „Bistorta“ genannt wird, mit Galgant und Ingwer. Danach wird folgendes Rezept empfohlen: „Gegen das Speien, das von einer Krankheit oder von der Hitze der Cholera (starker Durchfall) kommt: Bereite eine Mischung aus dem Pulver der Bistorta und dem Eiweiß eines Eies zu, koche das auf deinem heißen Ziegelstein und gib das dem Kranken.“ (Quelle: Handbuch Klosterheilkunde).

Schon in der griechisch-römischen Antike wurde die Blutwurz als Heilpflanze genutzt. Dioskurides und andere antike Autoren beschrieben ihre Anwendung bei Durchfällen und Ruhr. Im Mittelalter wurde die Pflanze wegen ihrer blutstillenden Eigenschaften geschätzt und in Kräuterbüchern beschrieben. Hildegard von Bingen und der Kräuterpfarrer Kneipp empfahlen sie bei Verdauungsbeschwerden und Bauchkrämpfen.

Vorläufer der Blutwurz in der griechisch-römischen Antike war das Kriechende Fingerkraut, das u. a. in der Materia medica von Pedanios Dioskurides (um 65/75) und im Herbarius des Pseudo-Apuleius (um 400) beschrieben wird. Ab dem Mittelalter und bis weit in die Neuzeit wurden die Wurzelstöcke beider Pflanzen parallel verwendet. Seit dem Mittelalter werden zudem die oberirdischen Teile des Gänsefingerkrauts genannt, das bis ins 21. Jahrhundert ebenfalls der Gattung Fingerkräuter zugerechnet wurde. In zahlreichen Schriften seit Hildegard von Bingen (um 1155) werden alle drei Pflanzen beschrieben, etwa im Gart der Gesundheit (1485) oder in den Kräuterbüchern von Hieronymus Bock und Leonhart Fuchs (beide im 16. Jahrhundert).

Beschreibung

Die Blutwurz (Potentilla erecta), auch bekannt als Aufrechtes Fingerkraut, Tormentill, Dilledapp, Durmentill, Natternwurz, Rotwurz, Ruhrwurz oder Siebenfinger, ist eine ausdauernde krautige Pflanze aus der Familie der Rosengewächse (Rosaceae). Sie erreicht eine Höhe von 10 bis 30 cm, kann aber bis zu 50 cm hoch werden. Die Pflanze wächst aus einem kräftigen, kriechenden Rhizom, das beim Anschneiden einen blutroten Saft absondert. Der Stängel ist oben mehrästig, beblättert und unterschiedlich behaart. Die Rosettenblätter sind dreiteilig, selten vier- bis fünfteilig, und grob gezähnt. Die Blüten haben vier gelbe Kronblätter und blühen von Mai bis Oktober.

Vorkommen

Die Pflanze bevorzugt Mischwälder, Heiden, Magerwiesen und Niedermoore mit mäßig sauren Böden. Sie gilt als Magerkeitszeiger und kommt vor allem auf Magerrasen und in Mooren und Feuchtheiden vor. Dort wächst sie als kleine gelbblühende Staude. Die Droge wird aus osteuropäischen Ländern importiert. Heimisch ist die Blutwurz in den borealen und gemäßigten Zonen Europas bis zum Altai. In südlichen Regionen wächst sie hauptsächlich in Gebirgen. In den deutschen Alpen steigt sie bis in Höhenlagen von 2200 Metern auf.

Botanisches

Die Blutwurz ist eine widerstandsfähige Pflanze mit einem kräftigen, verholzten Rhizom. Der blutrote Saft, der beim Anschneiden austritt, führte zur Verwendung als blutstillendes Mittel in der traditionellen Signaturenlehre. Die Bestäubung erfolgt durch Insekten, und die Früchte werden durch Wind und Tiere verbreitet. Am Stängel kommt es nicht selten zur Bildung von Pflanzengallen, hervorgerufen durch die Gallwespe Xestophanes brevitarsis. Die Blutwurz wurzelt bis 50 cm tief.

Blätter: Die Blätter sind dreiteilig, selten vier- bis fünfteilig, und haben einen grob gezähnten Rand. Sie sind in Rosetten angeordnet, was der Pflanze ein charakteristisches Erscheinungsbild verleiht. Die Stängelblätter sind sitzend oder kurz gestielt und immer dreiteilig.

Blüten: Die gelben Blüten der Blutwurz haben vier (selten fünf oder sechs) Kronblätter, die verkehrt-herzförmig sind und einen Durchmesser von etwa 1 cm haben. Die Blüten stehen einzeln an langen Stielen in den Blattachseln. Die Kelchblätter sind meist so lang wie die Kronblätter.

Rhizom: Das Rhizom ist kräftig, verholzt und hat einen Durchmesser von 1 bis 3 cm. Beim Anschneiden tritt ein blutroter Saft aus, der der Pflanze ihren Namen gibt. Das Rhizom kann bis zu 50 cm tief wurzeln und ist widerstandsfähig gegen verschiedene Umweltbedingungen.

Ökologie: Die Pflanze ist ein wichtiger Bestandteil der Ökologie in ihrem Verbreitungsgebiet. Sie bietet Lebensraum und Nahrung für verschiedene Insektenarten, einschließlich der Gallwespe Xestophanes brevitarsis, die Gallen an den Stängeln bildet. Blutwurz spielt auch eine Rolle in der Bodenerhaltung, da ihr tiefes Wurzelsystem den Boden stabilisiert und Erosion verhindert.

Die Erstveröffentlichung erfolgte 1753 unter dem Namen Tormentilla erecta durch Carl von Linné in Species Plantarum. Ernst Adolf Räuschel veröffentlichte den 1797 heute anerkannten Namen Potentilla erecta (L.) Raeusch. Weitere Synonyme sind Potentilla sylvestris Neck. und Potentilla tormentilla Neck.

in der Phytotherapie

Blutwurz, Tormentill

Tormentillwurzelstock - Tormentillae rhizoma (Ph.Eur. > 7% Gerbstoffe)

Die moderne Phytotherapie verwendet das von den Wurzeln befreite und getrocknete rotbraune Rhizom der Blutwurz (Potentilla erecta L. RAEUSCH Rosaceae). Wissenschaftlich anerkannt sind die adstringierenden und entzündungshemmenden Eigenschaften der Pflanze. Sie wird äußerlich bei Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut und innerlich zur symptomatischen Behandlung leichter Durchfälle eingesetzt. Unterstützend wirkt sie auch bei akuter und chronischer Darmentzündung. (Quelle: Teuscher, Lindequist, Melzig: Biogene Arzneimittel, 8. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2020).

Pharmakologie: Der Tormentillwurzelstock (Tormentillae rhizoma) hat einen sehr hohen Gerbstoffgehalt von 15-20% (andere Quellen sprechen von 17 bis 22% Gerbstoffe), was sie zur stärksten Gerbstoffpflanze (Adstringens) macht. Die Gerbstoffe reagieren mit den Eiweißen der oberen Gewebeschichten und bilden dichte Membranen. Nebenwirkungen sind keine bekannt, jedoch sollte bei empfindlichem oder Reizmagen vorsichtig mit der Anwendung umgegangen werden.

Inhalts- und Wirkstoffe: 15-25% Catechingerbstoffe, besonders dimere bis hexamere Proanthocyanidine, ca. 3,5 % Gallotannine, z.B. Agrimonin und Pedunculagin. In geringeren Mengen Flavonoide und ca. 2% Triterpensaponine. (Teuscher et. al, 2020)
(Andere Quellen erwähnen noch den Farbstoff Tormentillrot, Triterpene wie Tormentosid, ätherische Öle sowie Harz und Gummi).

Wirkeigenschaften: Der Saft der Pflanze wirkt hemmend auf das Wachstum von Bakterien und Viren. Blutwurz wirkt stark zusammenziehend (adstringierend), austrocknend und entzündungshemmend (antiphlogistisch). Die Gerbstoffe in der Pflanze verdichten die oberen Gewebeschichten und bilden zusammenhängende Membranen, was die blutstillenden und heilenden Effekte erklärt. Der rote Farbstoff Tormentol und andere Inhaltsstoffe wie Flavonoide und Saponine tragen ebenfalls zu den heilenden Eigenschaften bei. Laborversuche zeigen eine hemmende Wirkung auf das Wachstum von Bakterien und Viren.

Anwendung: Innerlich genommen werden sie bei akuten, unspezifischen Durchfallerkrankungen eingesetzt und sind indiziert bei Enteritis und Fieber sowie zur Stärkung des Magens. Zubereitungen des Tormentills werden wie andere gerbstoffhaltige Drogen (Eichenrinde, Ratanhiawurzel) äußerlich in Form von Spülungen oder Pinselungen bei entzündlichen Erkrankungen der Mund- und Rachenschleimhaut, bei Entzündungen des Zahnfleischs und anderen Erkrankungen des Rachens und des Kehlkopfes und gegen Hämorrhoidenleiden verwendet, außerdem bei Verbrennungen.

In einigen Regionen wird aus Blutwurz auch ein Likör oder Schnaps hergestellt, der als Digestif dient.

Hinweis: Die Anwendung auf 3-7 Tage beschränken, dauern Durchfälle mehrere Tage unbedingt ärztlichen Rat aufsuchen. Durchfall bei Kleinkindern und Säuglingen bedarf auf jeden Fall ärztliche Untersuchung.

Gegenanzeigen: Nicht bekannt.

Wechselwirkungen:  Die Wirksamkeit anderer, gleichzeitig eingenommener Arzneimittel kann durch die Einnahme gerbstoffhaltiger Zubereitungen vermindert werden. Daher andere Medikamente nicht gleichzeitig, sondern mit mindestens zwei stündigem Abstand einnehmen.

Monografien: Die Kommission E, ESCOP und HMPC haben die Wirksamkeit bei akuten Durchfallerkrankungen und Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut bestätigt.

Die Kommission E nennt in ihrer Monografie von 1988 (Berichtigung 1990) die innerliche Anwendung bei unspezifischen, akuten Durchfallerkrankungen sowie äußerlich bei leichten Entzündungen im Mund- und Rachenraum.

Die ESCOP ergänzt in ihrer Monografie von 2013 die unterstützende Anwendung bei akuter und chronischer Darmentzündung.

Das HMPC hat 2011 eine Monografie erstellt (und 2019 nach erneuter Prüfung bestätigt) nennt innerlich die Behandlung leichter Durchfälle sowie äußerlich bei leichten Entzündungen der Mundschleimhaut.

2 Kommentare

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